Die Soziale Diagnose von Wroclaw wurde von einem Soziologenteam der Universität Wroclaw unter der Leitung von Prof. Stanisław Kłopot erstellt. An den Untersuchungen, die im Frühjahr 2014 durchgeführt wurden, nahmen zweitausend Einwohner Wroclaws zwischen dem 15. und dem 80. Lebensjahr teil. Sie wurden nach ihrem Haushalt, nach der Familie und der Stadt befragt. Wir präsentieren regelmäßig die interessantesten Untersuchungsergebnisse, mit einem Kommentar der Wissenschaftler versehen.
Mehr als die Hälfte der Befragten gehen davon aus, dass sie sich durch nichts bewegen lassen, an irgendwelchen sozialen Aktivitäten teilzunehmen. Auf der anderen Seite haben wir drei Prozent Menschen, die aktive Mitglieder von irgendwelchen Organisationen sind. Es sind Personen, die sich in der Tat stark engagieren, beispielsweise im Siedlungs- oder Gemeinderat. Andere Formen der Aktivitäten reichen nicht über einen Prozent hinaus.
Dr. habil. Katarzyna Kajdanek, Soziologin an der Uni Wroclaw: - „Erneut kann man in diesem Fall die Individualisierung und Privatisierung unseres Lebens als Erklärung heranziehen. Wir konzentrieren uns immer noch sehr stark auf unser Privatleben und die Familie, die meisten bewegen sich zwischen der Arbeitsstelle und dem eigenen Zuhause. Ich bin weit davon entfernt, irgendjemandem das zu geringe Engagement vorzuwerfen, da ich der Meinung bin, der Grund dafür seien Zeitmangel und das niedrige Haushaltsbudget.
Es gibt eine relativ große Gruppe von Menschen, die überzeugt sind, dass sie nichts dazu bringen könne, aktiv zu werden. Möglicherweise spiegelt diese Einstellung ihre bisherigen Erlebnisse wider. Das geringe Engagement seitens des Staates, die Menschen zu irgendeiner Art Aktivität zu bewegen? Vielleicht liegt es am Mangel von Persönlichkeiten mit Führungsqualitäten vor Ort oder dem Gefühl der Mitverantwortung für den Ort, an dem sie wohnen.
Dieser Gruppe genügten und genügen immer noch die Aktivitäten zwischen der Arbeit, der Wohnung und ein bisschen Freizeit. Sie können es nicht verstehen und spüren es nicht, warum sie sich für irgendetwas engagieren sollen und was für ein Nutzen sie daraus haben könnten.
Diese Haltung ist schädlich, wenn man bedenkt, dass heutzutage die kommunale Politik, die Art, wie sie betrieben wird, die Omnipotenz der städtischen Verwaltung nicht nur infrage gestellt wird, sondern einfach am Ende ist. Immer mehr Menschen sprechen mutiger und lauter über das eigene – d.h. der Einwohner – Recht an der Stadt. Dies beruht auf der Auffassung, dass die Einwohner am besten wissen, was ihre Bedürfnisse sind, sie sind in der Lage, sie zu definieren und sollen auch die Möglichkeit haben, sie zu äußern und diese Bedürfnisse sollen auch verwirklicht werden. Wenn die Gemeinschaft, die auf das Recht verzichtet, sich an dem gesellschaftlichen Leben in der unmittelbaren Umgebung zu beteiligen, wirklich so groß ist, dann gerät auch die Idee der Bürgerlichkeit in der Tat ins Schwanken.
Quelle: Soziale Diagnose von Wroclaw
Dieses Phänomen soll auch für die Regierung beängstigend erscheinen, denn auf diese Weise verliert sie einen Partner. Dafür hat sie eine große Gruppe von Einwohnern, die gleichgültig sind, die zwar niemals unzufrieden, aber auch nicht zufrieden sein werden".
Wie kann man sie zur Aktivität bewegen?
- „Dennoch darf die Regierung mit den Versuchen aufhören, die Menschen zur Aktivität zu bewegen. Ich bin der Meinung, dass die Menschen, die sagen, dass sie nichts dazu bringen könne, aktiv zu werden, ihr Gefühl zum Ausdruck bringen, dass bisher nichts geschehen ist, dass in der Lage wäre, sie zur Aktivität zu bewegen. Ich bin weit davon entfernt, dass man sie damit allein lässt, da eh nichts zu machen ist."
Aber am Beispiel der Projekte, die im Rahmen des Bürgerhaushaltes durchgeführt werden, kann man doch erkennen, dass die Menschen in der Lage sind, sich für eine Idee zu mobilisieren?
- „Der Bürgerhaushalt fängt erst dann damit an, seine Aktivierungsfunktion zu erfüllen, als mehr Wert auf die Arbeit mit kleinen Gesellschaften gelegt wird. Es geht dabei um das gemeinsame Handeln, weniger um einen Anführer, der die geniale Idee hat und dann Lobbyarbeit für diese Idee betreibt. Diese Tätigkeit, dieses Sich zu verschiedenen Kreisen schließen, das Motivieren der Einwohner, über den gemeinsamen Raum zu sprechen und der Austausch von Ideen sind die beste Schule, in der man lernt, wie man Verantwortung für einen Ort übernimmt, die Nachbarn kennenlernt.
Quelle: Soziale Diagnose von Wroclaw
Andere Möglichkeit, die Menschen zu mehr Aktivität zu bewegen, hängt vom System ab. Je besser die Lebensqualität der Menschen ist, wenn sie mehr verdienen und weniger arbeiten, desto mehr Zeit sie für andere Aktivitäten haben werden und nicht nur für Arbeit und Freizeit."
Wie lassen sich diejenigen charakterisieren, die aktiver sind?
- „Es sind überwiegend jüngere Menschen, die gut ausgebildet, freiberuflich tätig und zeitlich flexibler sind, keine Familie und Kinder haben. Mit diesem Lebensstil ist es leichter, sich sozial zu engagieren. Wenn den Menschen die Realität einholt, sowohl die finanzielle als auch in Bezug auf die häuslichen Verpflichtungen, ist es schwierig, sich um andere zu kümmern. Umso mehr Aufmerksamkeit muss man deshalb denjenigen schenken, die sich Zeit für soziale Aktivität nehmen.
Wichtig ist auch die Bildung. Man muss den Menschen vermitteln, dass die soziale Aktivität gar nicht so schwer ist. Nur jeder von uns kann zum gegebenen Zeitpunkt eine Kleinigkeit tun, um die Lebensqualität zu verbessern: sowohl unsere eigene als auch der Menschen, die uns nah stehen."
Vielleicht lässt sich die fehlende soziale Aktivität auch als Ergebnis von weniger Vertrauen dem Staat gegenüber bezeichnen, was man ebenfalls der Sozialen Diagnose von Wroclaw 2014 entnehmen kann?
- "Das abnehmende Vertrauen den politischen Institutionen gegenüber geht mit der Krise der bisherigen Formen der Regierung einher. Die Menschen verlieren das Vertrauen, dass diejenigen, die das Land regieren, auch in der Lage sind, für ihre Sicherheit zu sorgen. Wroclaw bildet dabei auch einen besonderen Fall. Dies hängt damit zusammen, dass sich die Stadt in Projekte engagiert, die man in Ausführungszeichen als "Springbrunnen" bezeichnet, das heißt an Investitionen, die reinen Imagecharakter haben, aber keinen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten.
Quelle: Soziale Diagnose von Wroclaw
Optimistisch erscheint allerdings das von den Einwohnern erwähnte verstärkte Interesse an Siedlungsräten, das durch das zunehmende Vertrauen zwischen den Jahren 2010 und 2014 geäußert wird. Die Siedlungsräte sind ein wenig wirksames Gebilde, da sie über geringen Einfluss verfügen. Die Zunahme an Vertrauen ihnen gegenüber sollte genutzt werden, indem man für die Ebene der Siedlungsräte mehr Gelder bereit stellt und sie mit Aufgaben betraut, die die Lebensqualität in den Siedlungen positiv beeinflussen können."