Natàlie Raclavskà wohnt in Wrocław seit fünf Jahren. Sie stammt aus Ostrava, studierte Slawistik in Brünn, dann absolvierte sie ein Studium in Polonistik an der Universität Wrocław. Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Übersetzerin, arbeitet meistens für Firmen aus Tschechien und Polen.
Die 29jährige ist in Wrocław richtig sesshaft geworden, kaufte sich hier eine Wohnung. – „Als meine Freunde mich besuchten, mussten sie nach Informationen über Wrocław auf Tschechisch in der Wikipedia suchen, weil es keinen solchen Service über die Stadt gibt. Von den typischen tschechischen Publikationen gibt es nur einen schlichten Reiseführer“- erzählt die Tschechin.
Von den Mönchen bis hin zum Markt
Was interessiert die Tschechen in Wrocław? – „Die Stadt ist interessant wegen ihrer Geschichte, der originellen Architektur und zahlreicher zeitgenössischer Sehenswürdigkeiten“ - sagt Natàlie. Im Wappen von Wrocław befindet sich ein Löwe mit Doppelschwanz, ein Symbol der Zugehörigkeit Wrocławs zur Böhmischen Krone. Natàlie zählt in einem Atemzug historische Denkmäler auf, die mit den böhmischen Herrschern in Verbindung stehen: die Kirche der Hll. Dorothea, Stanislaus und Wenzel, gestiftet vom Karl IV. von Luxemburg, die Kirche Hl. Elisabeth, die Klöster – wie etwa der Kloster der Kreuzherren mit dem roten Stern, in dem heute das Ossolineum seinen Sitz hat. Die Mönche wurden in die Stadt von der Herzogin Anna angesiedelt. Auf in der Folgezeit kamen einflussreiche Tschechen nach Wrocław. Über Jan Evangelista Purkyni, Anatomen und Physiologen, nach dem in der Innenstadt eine Straße genannt wird, lernen die Tschechen in der Schule. Natàlie: - „Er gehört zu unseren berühmtesten Wissenschaftlern, doch nur wenige Menschen wissen, dass er über 20 Jahre seines Lebens in Wrocław verbrachte“.
Kirche der Hll. Dorothea, Stanislaus und Wenzel, gestiftet vom Karl IV. von Luxemburg, Fot. jk
Die junge Tschechin bemerkt dabei, dass Prag natürlich sehr schön sei und auch die denkmalgeschützten Häuser verputzt und gestrichen wurden. – „Doch auf diese Weise hat sie den Charme eines Legolands“ – bemerkt die Frau ironisch. – „In Wrocław hingegen gibt es Stadtviertel wie etwa Nadodrze, mit prachtvollen Bürgerhäusern und stimmungsvollen Winkeln und Innenhöfen. Viele Tschechen werden nach Wrocław durch originelle Attraktionen hingezogen. Sie finden das Afrykarium sehr interessant, Natàlie empfehlt ihren Freunden regelmäßig einen Besuch im Vier-Kuppel-Pavillon und in die Jahrhunderthalle. Beliebt sind auch die Saisonveranstaltungen. – „Es ist kein Geheimnis, dass die Tschechen die größten Fans von Kitsch sind, neben Amerikanern. Deshalb kommen sie mit ganzen Bussen zum Weihnachtsmarkt. Ich vermute, dass es zuletzt mehr Tschechen als Deutsche kommen“- sagt Natàlie lächelnd.
Eine Stadt griffbereit
Die junge Tschechin hat beschlossen, selbst einen Service auf Tschechisch über Wrocław zu entwickeln. Seit fast einem Jahr schreibt sie einen Blog mit dem Titel "Květ Evropy. Vratislav na dosach", d.h. "Die Blume Europas. Wrocław griffbereit" (www.kvetevropy.cz). Der Titel knüpft an den Titel eines Werks eines schlesischen Dichters des 17. Jh., das von der Stadt so angetan war, dass er sie als die Blume Europas bezeichnete. Der Blog enthält Informationen über Geschichte, Denkmäler, Orte, wo man gut essen kann, sowie Sehenswürdigkeiten in anderen Regionen Niederschlesiens. Ein anderes Projekt umfasst die Vorstellung der alten Treppenhäuser, deren Wände mit dekorativen Fliesen bedeckt sind.
Der Blog von Natàlie und das mit ihm verknüpfte Profil auf FB wurden zur Austauschplattform für Informationen über Veranstaltungen, die in Wrocław für Tschechen und Tschechienfreunde. Und von denen gibt es immer mehr. Mindestens ein Mal im Monat im Klub Pieśniarze in der ul. Szewska werden Konzerte mit Künstlern aus dem südlichen Nachbarland Polens organisiert. Es wurden auch schon mehrere Spaziergänge auf den Spuren von Jan Evangelista Purkyni veranstaltet.
Der Weihnachtsmarkt wird massenweise von Tschechen besucht, Fot. Przemysław Wronecki
Regelmässig finden hier auch Treffen mit dem Titel "Czeski z pianką" (Tschechisch mit Schaum) statt, adressiert an die für in Wrocław lebenden Tschechen und Polen, die gut Tschechisch sprechen. – „Es ist eine Gelegenheit zur Integration, zum Kennenlernen. Ich bemühe mich, dass zu jedem Treffen eine bekannte Person kommt“- erzählt Natàlie. Zuletzt war es der Theaterregisseur Jiří Havelka.
Natàlie hat sehr viel Energie und Ideen, sie möchte, dass der Blog "Květ Evropy" noch abwechslungsreicher wird. Bisher hat sie alle Texte alleine geschrieben, gelegentlich greift sie auf die Hilfe der befreundeten Tschechen und Tschechischfans aus Wrocław zurück. Sie kann für die Texte und andere Materialien kein Geld anbieten, doch würde sich wünschen, dass sich noch mehr Menschen an seiner Entwicklung beteiligen, z.B. Bohemistikstudenten von der Universität Wrocław. Für die letzteren veranstaltet sie einen Wettbewerb für einen Text in der tschechischen Sprache über Sehenswürdigkeiten aus Wrocław. Die Preise werden vom tschechischen Ehrenbotschafter in Wrocław gestiftet.
- „Dank den Büchern von Mariusz Szczygieł ist das Interesse der Polen an den Tschechen gestiegen und es ist eher ein positives Interesse. Die Tschechen hingegen mögen die Polen nicht besonders, wissen nicht viel über Polen. Sie können höchstens Warszawa und Kraków, von Wrocław denken viele, dass es am Meer liegt. Es wird Zeit, dies zu ändern. Zu zeigen, dass es eine spannende Stadt ist, die es sich lohnt zu besuchen“- sagt Natàlie Raclavskà.