Der Chinese ist ein Ästhet
Die Ausstellung befindet sich in einem mittelgroßen Raum, so liebvoll eingerichtet, dass jeder Chinese vor Entzückung seufzen könnte. Vor allem deshalb, weil die Bewohner des Fernen Ostens echte Ästheten sind und den Details großen Wert beimessen. Sichtbar wird es in der Sorgfalt, mit der alle ausgestellten Exponate hergestellt wurden. Gleich, ob ein Scherenschnitt, ein kunstvoller Holzschnitt oder präzise Stickereiarbeiten.
Ein Kunstwerk im Handgepäck
All diese Gegenstände erwarb in China und brachte nach Europa Dr. Zlata Černy, herausragende tschechische Sinologin, Kennerin der Kunst des Orients und Kuratorin der Abteilung für Chinesische Kunst im Prager Nationalmuseum. Schon allein die Geschichte ihrer Chinareisen würde sich sehr gut als Stoff für ein spannendes Buch eignen. Das erste Mal bekam sie den Pass für eine Dienstreise im Jahr 1958, aber schon kurz darauf musste sie ihn zurückgeben. Auf die Ausstellung eines neuen wartete sie fast 30 Jahre und eine weitere Reise unternahm sie erst 1989. Damals auch erwarb sie zahlreiche Gegenstände der chinesischen Volkskunst, die heute die Glanzstücke ihrer im Nationalmuseum präsentierten Sammlung bilden. Wie transportierte Dr. Zlata Černy ihre Schätze? Das größte Problem war es für mich, die Figuren, aus denen die sog. Szenen mit Affen bestehen, vollständig nach Hause zu bringen. Die Tiere (ca. 3 cm groß) wurden aus Beinen und Panzern der Zikaden angefertigt, sie marschieren in einem Hochzeitzug mit einer Sänfte, in der zweiten Szene nehmen sie eine Mahlzeit zu sich, die dritte spielt sich beim Friseur ab. – Ich hatte sie einfach die ganze Zeit bei mir, im Handgepäck - erzählt Dr. Zlata Černy.
Hochzeitzug aus der Serie Szenen mit Affen. Die Figuren wurden sehr präzise angefertigt/Foto Nationalmuseum
Tagsüber Bauer, Künstler in der Freizeit
Weniger problematisch waren die Scherenschnitte. – Die Fantasie der Künstler, die sie gemacht haben, war nahezu grenzenlos – erklärt die Sinologin und zeigt, wie es dem geschickten Autor gelang, in einer Figur viele andere Elemente zu verbergen, z.B. einen Fisch. Wenn man die Arbeiten der Menschen aus dem Fernen Osten betrachtet, kann man ihre Schöpfer kaum als naiv oder primitiv betrachten. – In diesem Fall lässt sich die Volkstümlichkeit nicht mit Naivität gleichsetzen, denn wir haben mit hochqualifizierten Künstlern zu tun, die oft jahrhundertelange Familientraditionen fortsetzten – erklärt Dr. Zlata Černy. Ihre Schöpfer waren meistens Menschen, die durch das ganze Jahr schwer arbeiteten, z.B. sie gingen ihren täglichen Pflichten auf dem Feld nach und kurz vor dem Neujahrsfest begannen sie mit den künstlerischen Arbeiten.
Den bösen Geistern zum Trotz
Das Neujahrsfest ist in der chinesischen Tradition ein großer Feiertag, das Tier unter dessen Zeichen es steht, kann entweder Glück bringen oder für Jahre der Dürre sorgen. Der Tiger, ein im chinesischen Horoskop besonders positiv konnotiertes Tier, wird mit Aktivität, Optimismus und Freude in Verbindung gebracht. Deshalb wird er oft u.a. auf den kleinen Kinderschuhen abgebildet. Erkennbar ist auch immer wieder die Faszination der Chinesen für das Theater und Maskeraden jeglicher Art. Wir finden in der Ausstellung Figuren der Helden der Theaterstücke. In den Häusern wurden diese Figuren auf einem Tablett aufgestellt, dann durchgeschüttet (um den Schein zu erwecken, die Helden würden ihre Plätze wechseln), was den Kindern viel Freude bereitete. Die wunderschönen und kunstvollen Scherenschnitte wiederum dienten nicht nur dekorativen Zwecken. Sie sollten böse Geister vertreiben. – Sie wurden auch in einer Schüssel verbrannt und die Asche verstreute man an Wegkreuzungen - erklärt Dr. Zlata Černy.
Die Volkskunst wird endlich gewürdigt
Die Kuratorin der Ausstellung Dorota Róż-Mielecka erklärt, dass man erst im letzten Jahrhundert begann, die chinesische Volkskunst nicht nur ausführlicher zu beschreiben, sondern auch zu sammeln. – Sie galt als minderwertig, doch ist sie eine der besten Quellen, um die chinesische Kultur kennenzulernen, in der jedes Element, Form, Farbe und Dekor über eine eigene Bedeutung verfügt – bemerkt die Kuratorin.
Die Ausstellung "Die Ästhetik des Rituals. Chinesische Volkskunst aus der Sammlung Dr. Zlata Černy" kann ab Dienstag, dem 25. November bis 30. August 2015 im Nationalmuseum (2. Stock) besichtigt werden.