Wer hat sie nicht gesammelt, mit Bekannten getauscht und liebvoll in dem Sammelalbum aufbewahrt, das einem die Eltern erst nach wochenlangem Quengeln geschenkt hatten – wohlgemerkt damals nur unter der Ladentheke erhältlich! Im grauen Alltag des sozialistischen Polens waren sie eine bunte Visitenkarte der am weitesten entfernten Ecken der Welt, eine Weltallreise mit dem ersten bemannten Weltraumflug Sojus-Apollo oder eine Fahrt durch den Ozean auf ein Korallenriff. Die Briefmarken, denn von ihnen ist hier die Rede, sind für viele eine Leidenschaft und Lebenshobby. Um ihretwillen sind sie bereit, jede freie Minute und den letzten Zloty zu opfern. Ein Gespräch mit einem Philatelisten zu vereinbaren ist allerdings nicht einfach.
- Ich möchte darüber nicht sprechen, man kennt mich in der Szene und wird über mich lachen – hörte ich zur „Begrüßung“ von einigen Breslauer Philatelisten. Inoffiziell sagen sie, dass es eine Goldgrube sein könnte und dies bedeutet – Missgunst, Neid und große Konkurrenz.
Aussterbende "Art"
Zbigniew Krutyj ist 71 Jahre alt. Briefmarken sammelt er seit 1950. Er begann damit in der ersten Klasse der Grundschule. Seit Mai 1974 betrieb er einen Briefmarkenladen in der ul. Sądowa. Noch als Schüler besuchte er Philatelistentreffen, die bei der Post in der ul. Krasińskiego veranstaltet wurden, zu denen auch ältere Philatelisten aus der Vorkriegszeit kamen. Später wurden die Treffen in der ul. Świdnicka im Schachklub organisiert, dann in der ul. Łowiecka, in Dolmel, im Postgebäude neben dem Hauptbahnhof und im ersten Stockwerk des Bahnhofsgebäude. Heute kann man die Philatelisten sonntags am Bahnhof Świebodzki im Eisenbahnerklub treffen (zwischen 8.00 und 12.00 Uhr).
- Wir sind inzwischen zu "Dinosauriern" geworden, nur noch einige wenige, die mehr aus Sentiment kommen, um sich zu treffen und miteinander zu plaudern, weniger der Geschäfte wegen. Das Durchschnittsalter liegt bei ca. sechzig Jahren. Die alten Philatelisten sind gestorben, ihre Erben setzen die Tradition nicht fort – erzählt Zbigniew Krutyj und fügt hinzu, er sei womöglich der letzte Philatelist in der Familie, denn seine Kinder und Enkel interessieren sich nicht dafür.
Sozialismus kiloweise - Boom auf Vorkriegszeit
Nach dem Krieg wurde der erste Briefmarkenladen Breslaus, der dem Staatlichen Philatelistischen Betrieb gehörte, um die Wende der 40er und 50er Jahre in der ul. Świerczewskiego (heute ul. Piłsudskiego) eröffnet. Einen echten Boom erlebte die Briefmarke in den 60er und 70er Jahren. Philatelistenklubs gab es in fast jedem größeren Betrieb und bei den Behörden (z.B. im Woiwodschaftsamt waren insgesamt 7 Philatelistenzirkel aktiv). Für viele waren Briefmarken Kapitalanlage. Bei der Bank bekam man in den 60er Jahren drei Prozent, mit den Briefmarken konnte man indes mit zehn Prozent Gewinn rechnen.
Wie einer der Breslauer Philatelisten erzählt, haben heute die Briefmarken aus der Zeit der Volksrepublik Polen keinen größeren Wert und werden kiloweise gesammelt. Einen Boom erleben die Briefmarken der Vorkriegszeit sowie die, die bis in die 50er Jahre herausgegeben wurden. Und diese können sogar einige Hundert Zloty wert sein. 500 PLN muss man für eine 4-Zloty-Briefmarke aus dem Jahr 1950 ausgeben. Eine Serie, die anlässlich des 100jährigen Jubiläums der polnischen Briefmarke im Jahr 1960 herausgegeben worden ist, hat einen Katalogwert von 2 Tsd. PLN. Es gibt allerdings auch Briefmarken, die 1960 für 20 Zloty verkauft wurden und heute 50 Tausend wert sind.
- Die Hausse auf Briefmarken dauerte bis Mitte der 90er Jahre. Dann verschwanden die Briefmarkenläden einer nach dem anderen, da die Geschäfte schlecht liefen – konstatiert Zbigniew Krutyj.
Echte Schätze
Die kostbarsten werden in Tresoren aufbewahrt. Sie sind sorgfältig in unscheinbaren Sammelalben sortiert. Für einen Laien ist es lediglich ein Stück Papier, auf einer Postkarte aufgeklebt. Für einen Kenner – ein Kunstwerk, kostbarer als Gold.
Die erste polnische Briefmarke wurde 1860 für das von Russland besetzte Königreich Polen (Kongresspolen) herausgegeben. Sie erzielt heute einen Preis sogar bis 20 Tsd. PLN. Die teuerste polnische Briefmarke ist die sog. Dziesięciokoronówka (Zehnkronenmarke). Es ist ein Reprint der österreichischen Briefmarke von 1919, die für das österreichische Teilungsgebiet herausgegeben wurde, mit dem Stempel der Polnischen Post. Auf dem Markt gibt es rund ein Hundert davon. Für eine fingernagelgroße Marke zahlt man sogar 70 Tsd. PLN.
- Wir waren bereits unabhängig, jedoch die Währung und Briefmarken hatten wir noch von den Besatzern. Genauso war es 1945. Auf den Reichsbriefmarken mit Adolf Hitler war ein polnischer Stempel - erzählt Zbigniew Krutyj.
Die polnischen Rekorde allerdings sind noch von der Weltklasse weit entfernt. Die weltweit teuerste Briefmarke ist die 1-Cent-Marke aus Britisch-Guayana, 1856 herausgegeben. Sie gehört einem unbekannten Sammler. Der Schätzungswert liegt bei 2 Millionen Dollars. Etwa so viel kosten auch die ersten "Mauritius" mit einem Postwert von 1 Penny und 2 Pence, die 1847 auf Mauritius herausgegeben worden sind.
Fehler haben ihren Preis
Am wertvollsten sind die Fehler auf Briefmarken. Zu den häufigsten gehören Farbfehler, fehlender Wert oder Zähnung, hoch bewertet werden auch Briefmarken aus Probeauflagen, die vor den offiziellen Auflagen erschienen sind. Der Wert einer Briefmarke steigt, wenn sie z.B. verkehrt herum oder mit einem unter der Lupe sichtbaren Punkt gedruckt wurde. Ein Beispiel – die sog. Marke "złotych pięćdziesiąt" [fünfzig Zloty] wurde in roter Farbe gedruckt. Heute wird sie, je nach Typ und millimeterlanger Verschiebung eines Punktes mit 600, 1250 und 6 Tsd. PLN gehandelt. Ein anderes Beispiel - 50 Tsd. PLN kostet die "odwrotka bokserów" [Die kopfstehenden Boxer] von 1956, anlässlich der olympischen Spiele in Melbourne mit einem Postwert von 20 Groschen herausgegeben. Aus Versehen wurde sie kopfstehend gedruckt.
Tekst und Fotos Jarek Ratajczak