Der Lemberger
Der zweiundneunzigjährige Stanisław Skrowaczewski hat eine außergewöhnliche Biografie. In Lemberg geboren, war er ein Wunderkind, das mit gerade Mal dreizehn Jahren auf der Bühne in zwei Rollen auftrat, als Pianist und als Dirigent im 3. Klavierkonzert Ludwig van Beethovens. Seine Karriere als Instrumentalist wurde durch den Krieg und durch eine Handverletzung unterbrochen. Als Lösung erwiesen sich dann das Komposition- und Dirigenten-Studium, ein Parisaufenthalt und Unterricht in der Klasse von Nadia Boulanger, einer legendären Pädagogin, der viele polnische Komponisten, wie etwa Grażyna Bacewicz, Zygmunt Mycielski, Wojciech Kilar, Marta Ptaszyńska oder Zygmunt Krauze ihre Erfolge zu verdanken haben.
Der Maestro erinnert sich an Wroclaw der Nachkriegszeit
Wroclaw war der erste Zwischenstopp in der Dirigentenkarriere von Stanisław Skrowaczewski. Er kam im Jahre 1946 hierher und übernahm bis 1947 die Stelle als zweiter - nach dem damaligen Direktor Stefan Syryłło - Chef des nach dem Krieg zusammengestellten Orchesters, das als die "erste Philharmonie" bezeichnet wurde. – "Die Arbeitsbedingungen waren sehr schwer, in der Umgebung des Theaters, wo wir unsere Proben hatten, lag alles in Schutt und Asche, einige Stadtviertel traute man sich gar nicht zu betreten“ – erinnerte er sich bei einem seiner Besuche in Wroclaw. – „Jedoch wie alle Anfänge war auch dieser für mich wunderbar, ich arbeitete zusammen mit vielen Musikern aus Lemberg, die ich von früher kannte, und die mich kannten und außerdem war ich zum ersten Mal mit einem Orchester an Sinfonien von Beethoven tätig. Es ist immer dieses erste Mal, die erste Liebe“ - erzählte Stanisław Skrowaczewski.
Karriere in Amerika
Als der entscheidende Moment seiner künstlerischen Laufbahn erwies sich das Engagement bei Minneapolis Symphony Orchestra. Zu verdanken hatte es der Maestro u.a. dem im Jahre 1956 gewonnenen Internationalen Dirigentenwettbewerb in Rom. Vermutlich dort hatte der exzellente Dirigent George Szell, der damalige Chef von Cleveland Orchestra, die Gelegenheit, seine Streichersinfonie kennenlernen. Als Szell mit seinem Ensemble zu seiner ersten polnischen Tournee kam, wurde er von Skrowaczewski am Bahnhof in Katowice begrüßt. – „Es gab großartige Konzerte, dann einen Empfang, bei dem mich George Szell gefragt hat, ob ich nicht Lust hätte, meine Sinfonie bei ihm in Cleveland zu dirigieren. Das war sehr ungewöhnlich, meine Beine begannen zu zittern“- erinnerte sich Stanisław Skrowaczewski. Der Druck war enorm. – „Sollte es nicht gut laufen, wäre ich für Amerika für immer verloren“ – bemerkte der Maestro. Das Konzert war gelungen. – „Alles ist glatt gelaufen und ich bekam ein weiteres Angebot für das nächste Jahr."
Die Arbeit des polnischen Dirigenten ist so gut angekommen, dass es weitere lukrative Angebote gab. Skrowaczewski entschied sich für das Minneapolis Symphony Orchestra, das in den Jahren zuvor von so exzellenten Künstlern wie Eugene Ormandy oder Anton Dorati geleitet wurde. Er hatte die Leitung der Sinfoniker aus Minnesota über 19 Jahre inne, verdiente sich dabei großen Ruhm und Anerkennung. Heute trägt er den Titel des Dirigenten Laureaten dieses Ensembles.
Konzert im NFM
Maestro Skrowaczewski besucht Wroclaw nicht zum ersten Mal. Bei seinen früheren Besuchen leitete er u.a. die 4. Sinfonie in Es-Dur von Anton Bruckner, einem seiner Lieblingskomponisten. Das Konzert ist in die Geschichte der Philharmonie Wroclaw eingegangen. Nicht anders wird sicherlich auch am 1. April, wenn der Maestro das Sinfonieorchester des Nationalen Musikforums im neuen Gebäude leiten wird und das erneut mit Bruckner auf dem Spielplan (diesmal hören wir die 7. Sinfonie in E-Dur). Es ist eine präzedenzlose Veranstaltung, denn Stanisław Skrowaczewski hat sich sehr lobend über die Baupläne des Nationalen Musikforums geäußert. – „Ich bin sicher, dass der Saal in akustischer Hinsicht ein großer Erfolg sein wird“- sagte er vor einigen Jahren. – „Ich freue mich mit euch und bin der Meinung, dass es eine neue Epoche im Leben des Orchesters sein wird“ – fügte er hinzu. Die Zeit hat bewiesen, dass sich der Maestro nicht geirrt hat.