Darüber, wie sie mit der Nachricht über die Verleihung des Nobelpreises für das Jahr 2018 konfrontiert wurde.
Wir sausten mit meinem Mann Grzegorz über die Autobahn zwischen Potsdam und Bielefeld. Ich weiß gar nicht, wo es genau war, an irgendeinem namenlosem „nowhere“.
Wir telefonierten sehr viel, da unterwegs noch einiges zu erledigen war. Plötzlich, ungefähr ein Viertel von Eins klingelte mein Telefon und ich sah eine Nummer, die mit „46” begann und erkannte sie sofort als die schwedische Vorwahl. Ich dachte: „wer aus Schweden ruft mich um diese Zeit an?” Irgendwo unbewusst spürte ich, wie mein Blutdruck hochsteigt, was es sein könnte.
Ich nahm ab und dann sagte mir eine nette Männerstimme, die für mich etwas besorgt klang, sie müsse mir eine Nachricht übermitteln: „Sie sind die Laureatin des Nobelpreises für das Jahr 2018.“ Ich kann mich nur erinnern, dass ich mehrmals „Nein, nein” sagte, worauf er „Aber doch, gnädige Frau” antwortete. Dann mussten wir sofort auf einem Parkplatz anhalten. Überwältigt sprangen wir hoch und umarmten uns, dann fuhren wir weiter zu dem geplannten Autorentreffen.
Über das Treffen mit Wisława Szymborska
Eines Tages war sie in Kraków mit einer Freundin im Café verabredet. Wir setzten uns an einen Tisch und dann merkte ich um mich herum eine große Aufregung, die sich kaum verbergen ließ.
In der Ecke saß Frau Wisława und unterhielt sich mit ihrer Begleitung und wir alle taten so, als ob wir sie nicht sehen, um ihr ein Gefallen zu tun und sie nicht zu stören. Als ich schon meinen Kaffee bestellte, kam plötzlich jemand zu mir und berührte meine Schulter. Ich drehte mich überrascht um und es stellte sich heraus, es war Frau Szymborska. Und sie sagte: „Liebe Frau Olga, ich heiße Wisława Szymborska. Ich möchte Sie nicht stören, ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich ihre „Ur und andere Zeiten“ liebe. Ich wurde dunkelrot im Gesicht, sah nur, dass das ganze Café erstarrte. So war Frau Wisława, unglaublich bescheiden, lieb, gütig, interessiert für andere Menschen und ich hoffe, dass dieser wunderbare Preis, den ich gerade erhielt, mich – ich traue mich nicht zu sagen, mir den Boden unter den Füßen nicht weg nimmt.
Über die Erziehung
Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ich diesen Preis bekommen kann, doch mein Vater erzog mich, indem er mir Marie Curie-Skłodowska als Vorbild nannte, dies sollte mich ermuntern, die Mädchengrenzen zu überwinden und nach vorne zu gehen.
Heute noch ist Marie Curie-Skłodowska ein Vorbild für viele Mädchen, die weiter denken, über das ihnen aufgezwungene Muster hinausschreiten. Damals wusste ich nicht mal, das ich mit dem Schreiben anfange, war überzeugt, dass ich Ärztin bei der Weltallmissionen werde, die Mars und andere Planeten kolonisieren, eventuell Kernphysikerin, bevor sich herausstellen sollte, dass ich in Mathe sehr schlecht bin.
Der Vater blickte für mich in die ferne Zukunft und ermunterte mich, Dinge zu tun, die nicht alle für selbstverständlich halten. Neulich sagte meine Mutter, dass er sich sehr über den Preis freuen würde. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war und meine ersten Prosaversuche unternahm, war er derjenige, die sie auf der Schreibmaschine abtippte. Ich diktierte ihm den Text, er machte dabei schreckliche Grimassen, doch haute dann tapfer weiter auf die Tasten.
Über das Schreiben von Büchern
Ich entschied mich für eine Art der Kommunikation mit den Mitmenschen, die sehr tiefgreifend, kompliziert und raffiniert ist. Sie gelangt nicht nur ins Ohr und in den Intellekt, sondern auch ins Herz, Intuition, Vorahnung und in diesem Sinne ist wohl die Literatur doch mächtiger als ein einfaches Verkünden von Wahrheiten.
Über die Literatur
Die Literatur öffnet die Türen, beseitigt kulturelle Unterschiede und in Wirklichkeit verbindet sie die Welt. Sie macht möglich, dass wir Dasselbe erleben, unabhängig vom Kulturkreis oder der Sprache. Und hier eine tiefe Verneigung an die Übersetzer, die dafür sorgen, von einer Sprache in die andere überzusetzen, doch im Grunde genommen ist die Literatur grenzenlos.
Über die Leser und das Lesen
Ich glaube nicht, dass es elitäre und populäre Literatur gibt. Ein Schriftsteller, der nicht mit jemanden kommunizieren will, der sich auf der anderen Seite befindet, ist eine Art Autist. Ich kenne solche Menschen, denen es nicht daran liegt, gelesen zu werden, doch der Sinn der Literatur ist Kommunikation.
Ich mag keine Aufteilung in Gattungen – Roman oder Krimi, denn das macht aus der Literatur keine Erfahrung, sondern Verkaufsware, das Lesen selbst wird dabei zur Konsumption. Für mich war es immer wichtig, dass der Leser mit dem Buch im Sessel versenken kann, ich bin mir aber auch dessen bewusst, dass Inhalte, die ich weitergeben möchte, sich nicht immer in einfache Situationen oder Figuren verkleiden lassen.
Über das neue Buch
Die Arbeiten daran sind weit gedeihen, doch ich denke, dass es alle überraschen wird. Es wird spannend sein, doch auf einem Niveau, auf dem ich gewöhnlich die Kommunikation mit meinen Lesern pflege. Metapher, literarischer Kontext, an den ich anknüpfe. Die Premiere wird, denke ich, nächstes Jahr sein.
Ich habe nur Angst, dass man nach dem Preis meinem Schreiben gegenüber unglaubliche Erwartungen stellen wird, Versuche, die Welt zu verbessern.